(sh, 11.10.2019) Superfood von glücklichen Kühen und zellbasierter Fleischraum aus molekularen Kochbüchern

Am 4. September 2019 hat das Bundeskabinett das Tierwohlkennzeichengesetz beschlossen, das ab 2020 für Mastschweine Anwendung finden wird. Das haben wir zum Anlass genommen, die auf dem deutschen Lebensmittelmarkt existierenden Tierwohl-Labels und -Standards genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei den Recherchen ist uns erneut aufgefallen, dass es den Tieren in den Ställen nicht besonders gut geht und keines der Labels wirkliche Erleichterung schafft. Wir sind deshalb der Meinung, dass eigentlich nur Milch von glücklichen Kühen oder zellbasierter Fleischraum eine Alternative für das Tierwohl sind.

Milch und Milchprodukte sind die Hauptquellen für CLAs (conjugated linoleic acids) in der menschlichen Ernährung [6] und leisten einen guten Beitrag an essentiellen ungesättigten Omega-3-Fettsäuren.[7] Während die CLAs eine antikanzerogene Wirkung haben, arteriosklerotische Erkrankungen positiv beeinflussen und den Körperfettanteil reduzieren können, helfen Omega-3-Fettsäuren bei entzündlichen Prozessen, neurologischen und psychischen Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen, rheumatoider Arthritis und Hauterkrankungen.[8]

Vergleicht man Milch von Weidekühen ohne Silomaisfütterung mit der Milch von Kühen aus der Stallhaltung mit Silagefütterung, hat die Weidemilch die deutlich höheren Konzentrationen an positiven Omega-3-Fettsäuren und CLAs[9] und scheint damit gesünder zu sein – manch einer bezeichnet die Milch von 100%igen Weidekühen sogar als Superfood.[10]

frisches Gras für Kühe

Reine Weidemilch in Deutschland ist rar. Die intensive Stallhaltung ist nach wie vor die dominante Nutztierhaltung und verspricht die höchsten wirtschaftlichen Gewinne. Nur ca. 42 % der Tiere haben regelmäßigen Weidegang, ganzjährig schon gar nicht.[12]
Hinzu kommt, dass es im Stall ganz schön eng, ungemütlich und langweilig werden kann, wenn sich z.B. neun Hennen 1 qm oder drei Kälber 4,5 qm teilen müssen und kaum Bewegungsfreiraum finden.[4] Und obwohl im ersten Grundsatz des staatlichen Tierschutzgesetzes steht, dass „Niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf“ [1], leiden tagtäglich Kuh, Rind, Schwein, Huhn und Henne in ihren Ställen. Jedes Jahr werden allein in Deutschland etwa 45 Millionen Brüderküken von Legehennen kurz nach dem Schlüpfen getötet, weil ihr Fleisch nicht so gut ist wie das ihrer männlichen Kollegen einer anderen Hühnerrasse.[5]

Die Kastration an unter acht Tage alten Ferkeln wird immer noch routinemäßig ohne Betäubung durchgeführt, nur um den unangenehmen Fleischgeruch beim männlichen Schwein zu verhindern. Dabei ist die betäubungslose Ferkelkastration eigentlich nach dem Tierschutzgesetz seit 2013 gar nicht mehr erlaubt. Da es aber bisher keine Einigung zwischen Tierwohlzielen und wirtschaftlichen Belangen gab, ist das Verbot leider nie in Kraft getreten.[2] Auch das Verbot des Schnabelkürzen bei Legehennen wird in der Praxis durch Ausnahmeregelungen immer wieder umgangen und angewendet.[3]
Macht man sich dann noch bewusst, dass die Viehzucht von Wiederkäuern der Hauptverursacher der von Menschen gemachten globalen Methan-Emissionen ist[11], können einem die prognostizierten Einbußen der klassischen Fleisch- und Milchproduktion durch Kunstfleisch schon positiv auffallen: die Zahl der Rinder werden sich durch die auf pflanzlicher und mikrobiologischer Basis erzeugten Lebensmittel in den USA bis 2030 halbieren[13]. Erfolgsversprechend scheint vor allen Dingen die precision fermentation zu sein, bei der Wissenschaftler Mikroorganismen so programmieren können, dass sie ihre gewünschten Moleküle herstellen. Damit ist der Grundstein für molekulare Kochbücher und Gourmet-Lebensmittelingenieure gelegt, die zellulären Fleischraum für jeden beliebigen Geschmack und alle Vorlieben kreieren können – ganz ohne Tierleid und Klimabelastung.

Nähere Informationen zu den Tierwohl-Labels findest du in unserem Glossar zum eatr Ecosystem.

Quellen

[1] http://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html#BJNR012770972BJNG000103377 am 8.10.2019
[2] https://www.bmel.de/DE/Tier/Tierschutz/_texte/Ferkelkastration201811.html am 8.10.2019
[3] https://albert-schweitzer-stiftung.de/kampagnen/schnabelkuerzen-beenden 7.9.2019
[4] http://www.gesetze-im-internet.de/tierschnutztv/ am 8.10.2019
[5] https://www.bmel.de/DE/Tier/Tierwohl/_texte/Tierwohl-Forschung-In-Ovo.html am 8.10.2019
[6] Wagner, K-H (2004): Biologische Wirksamkeit von konjugierten Linolsäuren.Ernährung & Medizin 2004; 19(1): 11-15. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/s-2004-822856 am 10.10.2019
[7] Pfeuffer, M. (1997): Bedeutung mehrfach ungesättigter Fettsäuren in der Ernährung. Fette in der Ernährung. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Köller Druck+Verlag GmbH. Bonn 1997. Heft 464. S. 35-67.
[8] Kogler, K. (2005): Essenzielle Omega-3-Fettsäuren – eine Übersicht. Phytotherapie Nr. 3.
[9]Ehrlich, M.E. (2007): Fettsäurenzusammensetzung (CLA, Omega-3Fettsäuren) und Isotopensignatur (C) der Milch ökologischer und konventioneller Betriebe und Molkereien. Diplomarbeit FG Landnutzung und regionale Agrarpolitik, FB Ökologische Agrarwissenschaften, Uni Kassel.
[10] Hofmekler, O. (2017): The 7 Principles of Stress. Extend Life, Stay Fit, and Ward Off Fat. North Atlantik Books. Berkeley, California.
[11] IPCC (2013): Climate Change 2013, Working Group I: The Science of Climate Change, 6.3.3.2.
[12] https://www.praxis-agrar.de/tier/rinder/milchviehhaltung-in-deutschland/ am 11.10.2019
[13] https://www.rethinkx.com/press-release/2019/9/16/new-report-major-disruption-in-food-and-agriculture-in-next-decade am 11.10.2019